Ich und die toxische Gesellschaft
Seit Telefon und Internet ist die Kommunikation in der Gesellschaft massiv angewachsen. Durch die Masse an Information wird auch das Filtern von Qualität immer schwieriger. Ähnlich wie bei Lebensmitteln und Gerichten führt der dauerhaft übermäßige Einsatz von Gewürzen zu einer Spirale, dass weniger “nicht so gut ist", sondern noch eine Schippe drauf zu legen “besser” ist.
Kommunikation und deren Inhalte wird viel zu oft danach bewertet, wie oft sie wiederholt wird, wer am lautesten ist und wer sie mit dem größten Effekt präsentiert. Der Inhalt, die Qualität und der Wahrheitsgehalt sind da nur noch Beiwerk. Das ist aber bereits seit langer Zeit ein alter Hut. Aber immer noch ein grundsätzliches Problem.
Dazu gekommen ist die Tatsache, dass Überbringer der Botschaften ihr eigenes Ego so groß wie möglich darstellen wollen. Zum Beispiel in sozialen Netzwerken ist die überwiegende Mehrzahl der Nachrichten ausschließlich auf das eigene Ego ausgerichtet. Selbst wenn um einen wichtigen Menschen, der gerade verstorben ist getrauert wird, sind die meisten Nachrichten folgendermaßen aufgebaut:
“Ich weiß noch, wie ich damals” …. “Wir haben damals ja” … “Mein erstes Zusammentreffen” … “Für mich der wichtigste Mensch”
Vermutlich würden sich beim Tod der wichtigsten Person im Universum, Leute immer noch selbst in den Vordergrund drängen, um das eigene Ego präsentieren zu können. Es geht kaum respektloser.
Die Lage ist mittlerweile so dekadent, dass diese Leute noch nicht mal mehr den Intellekt besitzen, zu verstehen, dass sie damit den letzten Funken Empathie aus einer Gesellschaft eliminieren, die sowieso schon viel zu wenig davon aufweist. In einer völlig verqueren Logik wird dann in einem Anfall völlig ausufernder Egozentrik sogar noch behauptet, es würde sich um Empathie handeln: “weil ICH ja trauere".
Das “Ich” findet nicht nur in Formulierungen dieser Art statt, es findet auch in tagtäglicher verbaler Kommunikation statt “Ich so und dann er so und dann sie so und dann ich so". Oder in Fotos “ICH vor der Pyramide", “ICH mit meinen Freunden", “ICH ganz traurig", “ICH mit Haustier", “Ich mit meiner toten Oma", “ICH mit dem Verkehrsopfer” und “ICH vor dem KZ". Das ICH als der zentrale Mittelpunkt des Universums in dem alle Gestirne über der Flacherde kreisen. Die traurigste Bühne der Welt.
Das Wort “Ich” in dem Wort Gesellschaft steht für den Tod der Empathie, des gegenseitigen Verstehen-Wollens und der Demut.
Im gleichen Zug ist in der breiten Gesellschaft die Fokussierung auf das Schlechte und auf den Fehler in den Mittelpunkt gerückt. Klar war zum Beispiel auch schon immer das “Meckern” über das schlechte Wetter ein valider Einstieg in einen Smalltalk. Aber das schlechte Wetter sollte nicht um Lebensinhalt und Dauerthema werden. So wurde ein großer Aufwand getrieben, um eine 3D Simulation der Fehler des Berliner BER Flughafens online zu stellen.
Damit wir uns richtig verstehen. Es geht nicht um die Verschleierung oder das Verschweigen von Fehlern, sondern um die perverse zusätzliche Aufarbeitung einer Tatsache “eines riesen Desasters", um sich zusätzlich, also ein weiteres Mal, virtuell daran ergötzen zu können.
Die Wut gehört vermutlich zur Gruppe der stärksten Gefühle die wir besitzen. Aber sie ist sicherlich nicht das einzige Gefühl, das einen Mensch zum Menschen macht. Wenn es aber das einzige oder größte Gefühl ist, dass uns noch hinter dem Ofen vor lockt, bzw das einzige Gefühl, auf das wir noch reagieren, dann sollten bei uns alle Alarmglocken schrill läuten. Denn dann ist eine wichtige Eigenschaft komplett aus den Fugen gerissen: Die Menschlichkeit.
Wenn als Lebensinhalt nur noch Wut, Ärger, Stress, Zweifel, Streit,Häme und Schadenfreude vorhanden ist, dann sollte ruhig mal die Frage gestellt werden, welchen Sinn bzw welches Ziel das eigene Leben verfolgt. Der Konsum von Gift führt zu Vergiftungen.
Darüber hinaus die Frage: Soll das eigene Leben an Grenzen und Fehlern aus der Vergangenheit gemessen werden, oder soll es von Möglichkeiten und Erkenntnissen in die Zukunft leiten lassen?
