Onashji und ich entschieden uns, dem regen Treiben der Vorbereitungen zum späteren familiären Festmahl zu entfliehen und die Zeit dahin, mit einem Spaziergang in ein schönes Café zu verschönern. Durch das Labyrinth der alten Gassen mit den schiefen und krummen Häuserwänden gelangten wir zu dem altehrwürdigen Palastgebäude, in dem schon vor Jahren eine Shopping Mall eingezogen war und täglich eine Unzahl von Menschen anzog die, vom schnöden Badezubehör, über Luxusartikel, bis hin zum CyTec Bodytuning mit angeschlossenem Operationssaal zur sofortigen Implantation, alles erwerben konnten. Inmitten des Gebäudes befand sich eine große Halle, in der man vom Keller bis hin zur überglasten Dachkuppel in den Himmel hinaufschauen konnte.
Wir nahmen den Aufzug und schauten während der Fahrt dem munteren Treiben der Menschen zu, wie sie von Geschäft zu Geschäft liefen, oder vor Schaufenstern standen und die Ausstellungsstücke betrachteten. Oben angekommen empfing uns, in einem Vorraum, ein alter Portier in einer sehr edlen Uniform. Er trug einen dieser runden roten schnörkellosen Hüte, die alle Portiers gehobener Cafés tragen. Ob wir reserviert hätten, das Café wäre voll klang uns seine sonore Stimme entgegen. Hatten wir nicht, aber da meist Freunde von Onashji den Tag in dem Café verbrachten, nannten wir einfach deren Namen und behaupteten, wir wären verabredet. Dankend nickte uns der Portier zu, drehte sich mit den Worten „Bitte folgen Sie mir“ um und schritt durch den roten Samtvorhang mit den goldenen Kordeln in das Café.
Es war jedes Mal ein Erlebnis durch den Vorhang zu treten, denn danach öffnete sich die Sicht auf das Café, rund um die prunkvolle mit Silber und Gold verzierte Balustrade, überdacht von einer nahtlosen runden Glaskuppel. Aus der Luft musste dieses Café wie eines dieser Glaskugeln aussehen, in denen es schneit, wenn man sie schüttelt. Der Himmel war bedeckt und für den Nachmittag war Regen vorhergesagt worden. Aber dennoch war es eine wundervolle Atmosphäre, die durch die Beleuchtung, die Kokospalmen, den Bambus und einige weitere exotische Pflanzen erzeugt wurde. Kleine Kolibris flogen durch die Luft und große farbige Schmetterlinge ließen sich auf wunderschönen Blüten nieder. Es erweckte den Eindruck, als würde man einen tropischen Garten, ohne die drückende Luftfeuchtigkeit durchschreiten.
Wir folgten dem Portier durch das kreisrunde Café auf die gegenüberliegende Seite, wo auch schon die gesamte Entourage saß, Tee oder Kaffee nippend, genußvoll kleine Gäbelchen Kuchen zum Mund führend, in Gesellschaft schwieg. Freudig wurden wir begrüßt und man bat uns Platz zu nehmen. Nur Taebe saß tief in den Sitz gesunken geistesabwesend mit starren und tief dunkelblauen Augen da. Das musste wohl ihr neues Visor-Implantat sein, von dem sie seit einem halben Jahr euphorisch gesprochen hatte. Wir nahmen Platz und wie aus dem Nichts näherte sich ein Ober mit Frack und Fliege, der uns sogleich über die neuste interaktive CyTec Implementation der Café Kultur aufklärte. Er demonstrierte anhand verschiedener Schlürfvarianten an der Tasse, die beeindruckende Beeinflussung des Umgebungslichtes. Wir entschieden uns für einen „Vintage Kaffee“. Dieser wurde prompt auf einem kleinen silbernen Tablett mit barockem Kännchen und Tasse aus Keramik gebracht. Ebenso wie er erschien, verschwand der Ober wieder im Nichts, als wäre er nie dagewesen.
Auf einmal bahnte sich eine Unruhe durch die Gäste und alle schauten raus zu einem 200 Meter weit entfernten Gebäudekomplex, wo sich ein immer stärker werdender dunkler Luftwirbel formierte und zu einem kleinen Tornado heranwuchs. Schlagartig veränderte sich das Wetter und schwarze Wolkenformationen bauten sich am Himmel auf. Regen prasselte auf die gläserne Kuppel herab. Urplötzlich erklang ein hohes Summen, das sehr schnell in den tiefen Frequenzbereich abfiel und weiter rechts im Blickfeld in einer Detonation eines gesamten Straßenzuges sein gewaltiges Spektakel entfaltete. Grelle Flammen schossen auf breiter Front in den Himmel, hinterließen aufsteigende und gleichzeitig erlöschende Feuerwolken, während Häuser zerbarsten, um danach in ihren Überresten in sich zusammen zu fallen. Das Café wackelte und vibrierte von den Druckwellen erfasst. Löffel klirrten auf dem Geschirr und fielen zu Boden. Weiteres Summen war zu hören und in einem immer kürzer werdenden Stakkato arbeiteten sich die Einschläge, Straßenzug um Straßenzug immer näher an das Café heran. Der Himmel bestand nur noch aus leuchtenden Feuerwolken unter denen Häuser mit infernalisch lautem Knall zusammen brachen oder einfach zur Seite weg kippten. Die Gäste des Cafés schrien hysterisch mit weit aufgerissenen Augen und rannten panisch zum Ausgang. Andere saßen starr vor Schock einfach nur da, oder weinten stumm vor sich hin. Manche wurden über die Brüstung gestoßen und fielen die große Halle hinunter, bis sie mit Höchstgeschwindigkeit im Keller aufprallten, wo sie sich dann wie zerplatzte Pancakes übereinander stapelten.
Das Summen stoppte, als der letzte Einschlag die Straße vor dem Palast komplett zerstörte. Die aufsteigende Feuerwolke hatte das Glas der Dachkuppel so erhitzt, dass Regentropfen beim Aufprall sofort verdampften. Das war auch das einzige Geräusch, das jetzt nur noch zu hören war. Alle Menschen hielten stumm inne und warteten auf das letzte Summen, das sie ihn ihrem Leben hören würden. Aber es geschah nichts. Der Regen hatte mittlerweile die Glaskuppel abgekühlt und begann nun den Trümmerstaub runter zu waschen. Das Außmaß der Zerstörung wurde sichtbar und es offenbarte sich ein Gemälde der Apokalypse . Taebes Augen wechselten nun wieder von dunkelblau zu ihrer natürlichen grünbraunen Farbe zurück und sie betrachtete fassungslos das im Chaos versunkene Café.