Was hat Work-Life-Balance mit Einsamkeit gemein?

Kurz: Täter-Opfer-Umkehr

Das Thema Einsamkeit ist 2024 stark in den Fokus gerückt. Zurecht. Und nun werden Diskussionen geführt, wie man der Vereinsamung von Menschen entgegenwirken kann. Viele gute Initiativen werden gegründet, in manchen Staaten gibt es bereits eigene Minister für dieses Problem. Es wird also eine Menge Anstrengung unternommen, um die zunehmende Einsamkeit einzuschränken. Menschen können sich bei Organisationen melden, damit sie nicht so einsam sind.

Da frage ich mich: Warum wird nicht versucht das Entstehen der Einsamkeit zu vermeiden?

Aber vielleicht zuerst zum zweiten Themenkomplex: Die Work-Life-Balance. Irgendwann vor 25 Jahren, um das Jahr 2000 kam dieser Begriff auf und grob gesagt, wurde dafür geworben, dass Menschen eine gesündere Balance zwischen dem Arbeitsleben und dem Privatleben haben sollten. Es sollte Familienfreundlicher sein und auch Stress sollte besser abgebaut werden können. Dafür gab und gibt es Arbeitszeitreduzierungen und auch finanzielle Freizeitvergünstigungen bei entsprechenden Firmen und Organisationen. Diese konnten die Menschen aufsuchen, um ihre Energie loszuwerden und einen Ausgleich zur Arbeit zu haben.

Da frage ich mich: Warum wird nicht versucht die Arbeit so zu gestalten, dass die Freizeit Privatsache bleibt? Da gibt es doch diesen Spruch, finde eine Arbeit, die dir Spaß macht und du wirst nie wieder arbeiten.

In beiden Fällen existiert ein Problem. Und in beiden Fällen sollen sich die, ich nenne sie mal überspitzt „Erkrankten“, selbst darum kümmern die „Krankheiten“ in den Griff zu bekommen.

Aber wodurch sind denn diese Krankheiten entstanden?

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, wie es viele Diskussionen tun: Das ist halt so im Laufe der Zeit entstanden diese Dinge und wir müssen uns darum kümmern, damit diese Menschen nicht von „der Gesellschaft“ alleine gelassen werden. Sollten die kursierenden hohen Zahlen stimmen, dann ist das wohl eher anders herum.

Aber eigentlich fehlt bei diesen Diskussionen der absolute Schwerpunkt, um den sich alles drehen sollte: Wie konnte so etwas überhaupt entstehen? Wer oder was begünstigt denn die Tatsache, dass wir unbedingt eine Work-Life-Balance brauchen? Wer oder was begünstigt die Tatsache, dass es immer mehr Einsame gibt?

Oder direkter und provokanter gefragt: Wer schlägt daraus Profit?

Bei der Einsamkeit ist es mit Sicherheit der Wandel der Gesellschaft. Ein furchtbarer Begriff für „Der Profit rechtfertigt die Mittel“. Wer profitiert von der Einsamkeit der Menschen? Ich denke, das ist nicht so einfach. Aber eine Sache schwebt seit langer Zeit über uns und wie Drogensüchtige wird abgewunken „das kann es ja gar nicht sein“. Die moderne Kommunikation im Speziellen „Soziale Medien“. Davon profitieren die großen Techkonzerne und angehängte Branchen. Menschen verfallen in einen immer krankhafteren Egotripp. Pflegen ihre Freundschaften nicht mehr. Alles wird zu einer Konkurrenzsituation. Seien es die Urlaubsbilder, der Urlaubsort, andere Influencer, oder die Postings Frequenz im aktuell oder dem demnächst angesagtesten Netzwerk. Wer kann mehr Clickbait und wer findet einen Weg noch weniger für noch mehr Leistung zu bezahlen?

Moderne Kommunikation ist der Konsum der modernen Gesellschaft auf Crack.

Da bleibt auch keine Zeit mehr sich um irgendwen zu kümmern. Außer vielleicht in einer Organisation, die ihr Engagement auf Social Media …. der Teufelskreis ist bekannt!

Und wie ist das mit der Work-Life-Balance? Nun, wie schon geschrieben, gibt es diesen Leitsatz „Finde eine Arbeit, die dir Spaß macht und du wirst nie wieder arbeiten.“ Dieser impliziert, dass man gerne zur Arbeit geht. Dass das Arbeitsumfeld gesund ist. Das es ein konstruktives Miteinander gibt. Dass die Arbeitgeber ihrer in Deutschland in verschiedenen Gesetzen (BGB, ArbSchG, ASiG, ArbStättV, JArbSchG, MuSchG, BSchG, AGG und etliche weitere) definierten Fürsorgepflicht nachkommen.

Was heißt das?

Das bedeutet, dass Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer sorgen müssen, wie es von anständig denkenden Menschen zu erwarten ist. Im Gegenzug haben die Arbeitnehmer die Treuepflicht immer im Sinne der Arbeitgeber zu handeln und rechtswidriges Verhalten zu unterlassen.

Es gibt so viele Gesetze und Regelwerke, die die Fürsorgepflicht regeln und dennoch schien die Work-Life-Balance eine notwendige Maßnahme zu sein. Warum? Wenn doch alles geregelt und roasarot ist, warum zusätzlich noch ein „freiwillige“ Leistung der Arbeitgeber?

Auch hier vermute ich das Versagen der Menschlichkeit. Was mich dabei stützt ist die zunehmende Anzahl von „Innerer Kündigung“ in den letzten Jahren.

Menschen sind keine Roboter, sondern Menschen. Auch wenn sie im Job wie in einem Räderwerk funktionieren sollen, bleiben sie dennoch Menschen. Und natürlich gibt es extrem nervige und anstrengende Arbeit und Tage, aber wenn das Menschliche im Arbeitsumfeld stimmt, dann geht man auch nach einem extrem anstrengenden Tag mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause und nicht völlig frustriert in ein Fitnesscenter oder eine andere Maßnahme, um den Stress rauszulassen und abzubauen. Und am nächsten Tag geht man wieder mit Freude auf die Arbeitsstelle, statt unglücklich darüber zu sein.

Die Ursache für all diese Probleme und Krankheiten ist meiner Meinung nach die zur Resource-Machung des Menschen und ihm dabei die Menschlichkeit abzusprechen. Entmenschlichung. Oder die völlig abstruse Anforderung von einem Menschen zu erwarten, dass er wie ein Roboter funktioniert, der von viel zu oft, viel zu unfähigem Management geführt werden soll. Der Mensch und Charakter „Manager“ füllt viele Bücher und Studien, die teilweise verheerendes beschreiben. Extreme z.B. „Psychopathen“.

Das können GesellschaftswissenschaftlerInn mit großer Sicherheit viel besser ausdrücken und auch mit Zahlen belegen. Mir ging es lediglich darum darauf hinzuweisen, dass hier wieder und immer noch eine Täter-Opfer Umkehr stattfindet und sich die Diskussionen auf einem komplett entmenschlichtem Terrain befindet mit dem Schein, es ginge um Menschlichkeit.

Um echte Menschlichkeit, nämlich die Beseitigung der Ursachen, geht es bei allen diesen Diskussionen nicht. Würde es in diesen Diskussionen um echte Menschlichkeit gehen, müsste der Konsum, die Wirtschaft und unsere aktuelle Gesellschaft fundamental in Frage gestellt werden.

Aber soviel Menschlichkeit traut sich dann doch niemand.

Oder doch?